„Der Osloprozess hat dem Wort Frieden angetan, was Stalin dem Wort Sozialismus angetan hat.“ Uri Shani

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«Wir wissen nur zu gut, dass unsere Freiheit unvollständig ohne die Freiheit der Palästinenser ist.»
Nelson Mandela

Uri Shani ist noch das, was das Theater einst war. Eine politische Institution mit einem Bildungsauftrag der auch ernst genommen wird. Er hätte die Wahl gehabt sich den herrschenden Verhältnissen anzupassen, sich der halbseidenen Empörungskunst anzubiedern, die zwar plakativ aber wenig progressiv und sehr reaktionär ist.
Während das große deutschsprachige Theater, die Burg, sich immer wieder der Vergangenheitsbewältigung widmet und die kunstvollendete Bourgeoisie nachzieht, macht sich Uri Shani große Sorgen um Gegenwart und Zukunft. Weniger was ihn als Person betrifft, sondern die Zukunft der Menschheit allgemein und davon einen speziellen Teil, der die besonders große Arschkarte gezogen hat – die Palästinenser.
Seit mittlerweile über 70 Jahren wird dieses Volk systematisch vertrieben, unterdrückt, dezimiert und sogar an Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen in seiner Existenz verleugnet. Historische Ereignisse werden umgedeutet und revidiert und jede Solidarität mit diesen Menschen per « Antisemitismuskeule » und anderer untergriffiger Argumente kurz und klein geschlagen – es wundert daher nicht, dass in der sogenannten Hochkultur, ,  tunlichst die Finger von diesem Thema gelassen werden. Was für die einen Pragmatismus gegenüber der eigenen Karriere ist, ist dann oft nichts anderes als Feigheit vor Menschlichkeit und der damit verbundenen Würde und Gerechtigkeit.
Für Uri ist klar, dass der Verrat an und die Apartheid gegenüber den Palästinesern letzten Endes uns allen vorzuwerfen sein wird und über kurz oder lang auch zum Verhängnis werden kann. Die gesellschaftliche Entwicklung in seiner Heimat Israel wird dort nicht exklusiv begrenzt bleiben.
Israel ist ein Teil der westlichen Wertegemeinschaft und der instituionalisierte Rassismus der sich durch das Land und eine Bevölkerungen pflügt wird seine Furche mindestens durch den Rest der weissen, nämlich westlichen Welt graben – begonnen hat es ohnehin schon.
Gerade die Liebe zu seiner Identität, zu seiner Kultur, seinen Mitmenschen und Heimat ist es doch, die ihn sorgenvoll diese Entwicklungen beobachten und ihn als Mahner laut werden lässt. Grotesk ist es, dass gerade Menschen wie Uri eine Art
«Selbsthass» diagnostiziert wird, gerade auch von Menschen die bei dem Wort «Araber» schon die Nase rümpfen. Spätestens seit Arno Gruen wissen wir aber, dass der Hass und die Verachtung auf das Fremde immer auch der Hass und die Scham gegen sich selbst ist.
Zulange hat man Uri mit der Ablehnnung, den Drohungen und der Verachtung gegen ihn alleine gelassen. Vor Allem die europäischen und hier ganz besonders die deutschsprachigen Linken und ihre Institutionen sollten sich zumindest mit etwas Schamesröte im Gesicht fragen, wie es sein kann, dass sie einen Freund wie Uri im Stich gelassen haben.
Gäbe es nicht das Internet, gäbe es nicht ein soziales Netzwerk wie Facebook, hätten wir vermutlich nie wirklich von diesem Menschen erfahren und ihm Freundschaft und Unterstützung anbieten können. Die Frage, was denn nun eigentlich mit unserem Journalismus passiert ist, schwebt im Raum.
Uri Shani wird am 22. Juni in Wien zu Gast sein und für die Gruppe42 und die «Frauen in Schwarz» den Vortrag
«Israel- Blick in die Eingeweide einer zerissenen Gesellschaft» halten.
Mit seinem Vortrag möchte er sich ausdrücklich an die Linke in Österreich und anderer deutsprachiger Länder richten. Zu lange haben sie sich zum Handlanger der rechten bis rechtsextremen und mittlerweile offen faschistischen Regierung in Israel machen lassen.
Im Rahmen der Porträtreihe die Gruppe42 zu den Votragenden veröffentlicht stellen wir Uri Shani 4+2 Fragen :

Wir sind über Facebook in Kontakt gekommen, konkret hat uns ein Posting von Dir sehr berührt und so sind wir uns dann näher gekommen.
In dem erwähnten Posting zeigst Du eine Fotografie aus dem Jahr 1932 in der eine Chanukkiah vor einem Fenster zu sehen ist. Der Blick aus dem Fenster zeigt an einer Fassade eines Gebäudes die Fahne mit Swastika der Nationalsozialisten. Als das Bild aufgenommen wurde, war das Alltag – man hat sich langsam an den aufkeimenden Faschismus gewöhnt und auch viele Juden wollten sich lange Zeit nicht der Realität stellen.
Du hast dann ausgeführt, dass die Situation in Israel nun ähnlich sei – sas ist eine Aussage, die sehr provokativ scheint.
Kannst Du uns erklären, wie die Situation in Deiner Heimat gerade ist und auch für Dich persönlich als linken, antizionistischen Friedensaktivisten?

Deine Frage ist so gross und offen, dass ich unmöglich umfassend darauf antworten kann. So beschränke ich mich auf zwei Dinge. Erstens ist Deine „Übersetzung“ meines Posts auf Facebook so „frei“, dass es mich schon sehr stört, insbesondere ich auch professionell übersetze. Man sollte sich also schon wirklich anschauen, was ich da geschrieben habe. Darin wird übrigens auch angedeutet, wie es mir so geht in dieser Situation hier und heute. Zweitens bin ich kein Friedensaktivist. Seit dem Jahr 2000 reden wir hier nicht mehr vom Frieden. Der Frieden war die Schlaftablette, die uns Rabin und Peres verabreichten, eine Droge, die vertuschen sollte, was sie wirklich vorhatten : Nämlich die Weiterführung des Siedlungsprojektes und des Policides der PalästinenserInnen mit anderen Vorzeichen.
„Die Oberen reden vom Frieden. Kleiner Mann, mache Dein Testament“, zitierte vor vielen Jahren Biermann Brecht, als er noch nicht Zionist war. Der Osloprozess hat dem Wort Frieden angetan, was Stalin dem Wort Sozialismus angetan hat.
Ich verstehe nicht, warum man im deutschsprachigen Raum nicht von Gerechtigkeit für die Menschen in Israel/Palästina sprechen darf.

Im deutschsprachigen Raum ist der Diskurs bestenfalls verfälscht, aber allgemein vergiftet. Setzt man sich für die Rechte der Palästinenser ein, wirst Du innerhalb kurzer Zeit zum Israelhasser oder Antisemiten ausgerufen – aktuell kannst Du das auf miterleben.
Es werden Karrieren ruiniert, wenn man es wagt sich für Gerechtigkeit in Deiner Heimat zu engagieren. Diese Repression wirkt sich, ob unbewusst oder bewusst, auch auf die Sprache aus.
Wir wissen aus den Leitmedien so gut wie nichts von der Realität in Israel und Menschen wie Du, existieren in der veröffentlichten Meinung nicht mehr.
Wie ist das Leben für Dich persönlich in Israel geworden?

Oberflächlich gesehen lebe ich eigentlich wie zuvor. Ich arbeite, ich zahle Steuern, ich geniesse alle Vorzüge, die ein privilegierter Israeli hat. Aber es ist klar, wenn man ein bisschen unter die Oberfläche taucht, dass sich mir schon lange etliche Türen versperrt haben, und in den letzten zwei Jahren immer mehr. Ich hätte mich dem entziehen können, wenn ich widerrufen hätte. Nichts liebt dieses Regime mehr, als Kritiker, die Reue zeigen. Das werde ich aber nicht. Das kann ich mir mir selber gegenüber nicht leisten. Obschon man versucht hat, in den letzten zwei Jahren, sehr heftig, mich einzuschüchtern, unter anderem mit Morddrohungen und vielem Weiteren, habe ich keine Angst um mich.
Ich glaube nicht, dass ich ein besonders mutiger Mensch bin. Wenn ich mein Verhalten betrachte, angesichts Tränengas und anderer Kampfmitteln, und das mit dem Verhalten Anderer vergleiche, bin ich eher ein Angsthase. Aber vor den Faschisten habe ich keine Angst. Die sind immer noch weniger gefährlich als das Militär, also das Regime selber. Die Faschisten sind kleine Ungeheuer, die das Regime benutzt. Aber das Regime selber ist die Gefahr.
Also um mich habe ich keine Angst. Aber ich denke, Kinder sollte man nicht mehr in diesem Land aufziehen. Das ist jetzt für mich nicht mehr relevant, weil mein Sohn schon 19 Jahre alt ist.

„Es war ja immer so, dass der grösste Feind eines Soldaten sein Kommandant war. Das begreifen natürlich die Wenigsten. Aber auch wenn ein Soldat körperlich ohne sichtbaren Schaden nach Hause kommt, ist er psychisch so verletzt, dass es sehr viel länger dauert, um ihn zu heilen, als wenn er körperlich verletzt worden wäre.“

Es ist tatsächlich so, dass viele Israelis mittlerweile das Land verlassen. Ein großer Teil von israelischen Antifaschisten ist zum Beispiel nach Berlin ausgewandert, verändert dann dementsprechend den öffentlichen Diskurs und wird dort dann aber von angeblichen deutschen Anftifaschisten als „Antisemiten“, „Alibi-Juden“ oder „Israel-Hasser“ vorgeführt.
Viele dieser jungen Israelis sind aus dem Grund ausgewandert, den Du eben angedeutet hast: Ihrer Kinder zuliebe.
Warum meinst Du, sollte man Kinder nicht mehr in den Land aufziehen – ist es wegen einer physischen Gefahr oder liegt es an der militärischen Indoktrination?

Die kulminiert zu guter Letzt in einer physischen Bedrohung. Es war ja immer so, dass der grösste Feind eines Soldaten sein Kommandant war. Das begreifen natürlich die Wenigsten. Aber auch wenn ein Soldat körperlich ohne sichtbaren Schaden nach Hause kommt, ist er psychisch so verletzt, dass es sehr viel länger dauert, um ihn zu heilen, als wenn er körperlich verletzt worden wäre.
Dabei spreche ich auch die Grenzen an, an die wir als Erzieher stossen. Unsere Arbeit ist fast wertlos geworden, insofern hat das neo-liberale Regime recht, wenn es uns nicht bezahlen will. Die Waffen, die Grenzposten, die Demütigungen und Erniedrigungen, die die PalästenserInnen erleben, und die Soldaten erleben das, auch wenn sie sogar gut erzogene Engel sind und nicht mitmachen, das alles spricht eine klare Sprache, und jahrelange Erziehung hat überhaupt keinen Wert mehr dem gegenüber.
Ganz wenige sind stark genug, verweigern und gehen ins Gefängnis. Dies sind die wahren Helden.
„Unglücklich das Land, das Helden nötig hat!“ schrieb Brecht.

Die Situation die Du schilderst ist unfassbar brisant und lädt fast ein zu resignieren. Es scheint, als hätten sich die Faschisten schon so in ihrer Macht zementiert, dass die in Gang gesetzte Gewaltspirale kaum noch aufzuhalten ist.
Geht es weiter wie bisher, was meinst Du wird in den nächsten Jahren in Deiner Heimat passieren?

Das hängst sehr stark von Europa ab. Von Amerika erwarte ich gar nichts. Und momentan sieht es auch für Europa nicht sehr gut aus. Die Antisemitismuskeule ist ja nur ein Spiegelbild des immer noch sehr tief sitzenden Rassismus in Europa, der ja jetzt wieder, angesichts der Flüchtlinge, die Europa mitproduziert hat, aber nicht aufnehmen will, ganz offen und schamlos zu Tage tritt. Wenn sich etwas positiv in Europa verändert, könnte dies auch heissen, dass es auch bei uns besser wird.
Irgendwann werden die Satten an ihrem eigenen Frass ersticken.  Ob wir das noch erleben werden oder nicht, und was danach noch übrig bleibt, und ob es möglich ist, das Steuer noch vorher herumzureissen, das weiss ich nicht.

„Genauso gewaltsam wie die Antisemitismuskeule ist der zionistische Schwitzkasten, in dem sich viele Juden befinden.“

Es gibt ja doch auch in Israel noch einige gewichtige Stimmen die wie Du laut mahnen. Aber sie werden nicht mehr transportiert oder mit infamen Mitteln zum Schweigen gebracht.
Oder ähnlich der Umgang mit der kürzlich verstorbenen Holocaustüberlebenden Hedy Epstein, die man wegen ihrer Kritik an der isralisichen Regierung als „Israel-Hasserin“ vorgeführt und ihr so ihren letzten öffentlichen Auftritt verwehrt hatte.
In Österreich haben viele Menschen aus der jüdischen Community dafür ein tief sitzendes Verständnis und haben sich an der Diffamierungskampagne gegenüber Epstein auch noch beteiligt.
Wie möchtest Du diesen Menschen begegnen oder meinst Du, hier ist das Gespräch schon vergeudete Zeit?

Ich bin Israeli, das heisst meine hauptsächliche Identität ist eine hebräische. Die Tatsache, dass ich einigermassen gut deutsch kann, darf nicht darüber hinwegtäuschen. Und ich empfinde eine starken Verbundenheit mit der arabischen Kultur, den arabischen Menschen, mit denen ich hier lebe. Ich fühle mich den Juden gegenüber in Europa nicht näher als den andern Menschen.
Genauso gewaltsam wie die Antisemitismuskeule ist der zionistische Schwitzkasten, in dem sich viele Juden befinden. Wer sich daraus befreit hat, mit dem spreche ich gerne. Mit einem Menschen im Schwitzkasten kann man schwer sprechen. Er sieht nur den Boden unter sich und spürt den Druck am Hals und an der Kehle.

Das ist sehr bildlich und verständlich von Dir beschrieben. Der Diskurs mit Menschen die, wie Du sagst im zionistischen Schwitzkasten stecken, ist tatsächlich sehr seltsam. Du triffst auf weltoffene, eigentlich linke, progressive Menschen die Dir dann aber etwas vom Recht auf Selbstverteidigung und dem Krieg zwischen Barbarei und Zivilisation erzählen.
Wie kann man diesen Menschen helfen sich aus dem Schwitzkasten zu lösen und kann der Genuss Deines Vortrages vielleicht ein Hilfsmittel sein?

Ja, ich hoffe das sehr. Allerdings möchte ich vorausschicken, dass es sich lohnt, nicht ohne ein gewisses Grundwissen zur Geschichte Palästinas und Israels zu kommen. Ich gehe in meinem Vortrag davon aus, dass die Leute die grundsätzlichen Fakten über die Nakba und die zionistischen Praktiken wissen und auch das Herz am linken Fleck haben.

Das Gespräch für Gruppe42 führte Stephan Bartunek.

 

Nemashin, das Theaterporjekt von Uri Shani - verschiedene Menschen vereint durch die Kunst

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