Die Rufe, Merkel müsse die Konsequenzen aus dem Flüchtlingsdebakel tragen und endlich gehen, werden lauter. Und sie orchestrieren sich zunehmend transatlantisch. Allein das sollte großes Misstrauen auslösen. Das Establishment der USA ist sicherlich kein guter Berater, wenn es um die Frage nach einem Regime-Change geht, wie man an den globalen Brandherden sehen kann, für deren lodern maßgeblich genau dieses Establishment die Verantwortung trägt. Es beantwortet die Frage nach dem Danach nämlich grundsätzlich nicht.
Diese Frage ist aber elementar wichtig. Nehmen wir einmal an, Merkel ist wider aller Erwartung einsichtig und tritt zurück. Und dann? Wer macht es dann? Sigmar Gabriel käme infrage, denn der ist Vizekanzler. Schäuble hat sicherlich auch Ambitionen, schließlich war er mal Kanzlerkandidat und fühlt sich zu Höchstem berufen. Schon an dieser Auswahl sieht man, wie schlecht es um Deutschland bestellt ist. Pest oder Cholera.
Gehen wir alternativ davon aus, es gebe Neuwahlen. Was wäre dann? Mit Neuwahlen bekäme man bestenfalls eine neue Mischung derselben politischen Akteure und daher keine neue Politik, lediglich eine Verschiebung der Nuancen und Akzente. Der Erosionsprozess der EU aber würde in jedem Fall beschleunigt und Jahrzehnte der friedlichen Integration wären vorüber, die Ursachen von Flucht wären durch einen Personalwechsel auch in keiner Weise bekämpft.
Die Frage nach der Zeit nach Merkel eröffnet eine Einsicht: Wir haben in Deutschland katastrophal schlechtes politisches Personal. Wir haben katastrophal schlechtes politisches Personal, wenn als Maßstab die Interessen des Souveräns, der Bürger genommen werden.
Und wenn man etwas weiter denkt, eröffnet sich die Einsicht: Unser politisches Personal ist genauso schlecht, wie es der Mainstreamjournalismus in seiner unterkomplexen, verzerrenden Berichterstattung über Politik ist. Und ja, es gibt da Zusammenhänge.
Ein sich über dreißig Jahre erstreckender Angriff des Neoliberalismus auf die politischen und journalistischen Institutionen hat die Stützpfeiler der Demokratie nachhaltig beschädigt.
Die Lobbygruppen, die zweifelhaften Stiftungen und NGOs haben sich ihren Platz an den Schalthebeln der Macht und das Wohlwollen der Multiplikatoren in den Redaktionen gesichert. Für den einzelnen Politiker wie den einzelnen Journalisten mit Karriereabsichten gilt heute, gutes Netzwerken ist wichtiger als gute Arbeit, denn nur mit den entsprechenden Kontakten bekommt man entsprechende Posten. Und die Kontakte erfordern systemisches Wohlverhalten. Es ist ein System der ideologischen Domestizierung von politischen und medialen Eliten, das sich da außerhalb jeder demokratischen Legitimation geschaffen hat.
Genau das aber zerstört Demokratie, denn es sichert den Zugang und Einfluss einer kleinen Gruppe, die über die dazu notwendigen finanziellen Mittel verfügt. Anders ausgedrückt: Es ist ein System institutionalisierter, permanenter Korruption, in dem wir leben.
Wer “Merkel muss weg!” ruft, weil er meint, herrschende Politik habe sich grundlegend von den Interessen des Souveräns entfernt, muss sich dringend überlegen, wie er dieses System aus Seilschaften und gegenseitiger Beförderung bekämpfen und die Republik wieder neu demokratisch errichten möchte. Ansonsten bliebe es nur beim Auswechseln von einer schlechten Wahl durch eine garantiert nicht bessere.
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